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Die Vorgeschichte
Genau nach einem Schichtwechsel dringen am Donnerstag, den 3. März 2016, über ein Dutzend Zivilpolizisten in die unterirdischen Räumlichkeiten der bis anhin besetzten Matthäuskirche ein. Während die anwesenden Schweizer*innen bloss kontrolliert werden, verhaftet die Polizei im Auftrag des Migrationsamts die restlichen acht Personen, welche keinen gültigen Aufenthaltsstatus vorweisen können – sie befinden sich mittlerweile in Ausschaffungshaft, verteilt auf verschiedene Kantone.
Wie es soweit kommen konnte? Einige Tage zuvor fand ein Gespräch zwischen Bewohner*innen und Kirchenrat, dem «Eigentümer» der Kirche, statt. Dort stellte der Kirchenrat ein Ultimatum, wonach die Bewohnenden die Räumlichkeiten bis Ende der Woche zu verlassen hätten. Weitere Verhandlungen würde es keine mehr geben. Offenbar sieht sich der Kirchenrat nicht in der Position, das Migrationsregime zu kritisieren oder die eigene Rolle darin zu hinterfragen, wenn sie direkt damit konfrontiert werden: Es gäbe «keinen Anlass dazu, die Migrationspolitik und ihre Durchsetzung in Frage zu stellen», so ein Mitglied des Kirchenrates. Gleichzeitig spielten auch ökonomische Interessen eine Rolle, schliesslich würde eine eindeutige Positionierung Austritte und damit schwindende Mitgliederbeiträge bedeuten.
Die Bewohner*innen der Matthäuskirche entschieden sich zum einzig Richtigen: Sie gingen mit der Räumungsandrohung am Mittwoch an die Öffentlichkeit.
Als Reaktion auf die gestartete Solidaritätskampagne veröffentlichte der Kirchenrat eine Medienmitteilung und liess verlauten, dass es keine Räumungsandrohung gäbe und «man sich weiterhin im Gespräch befinde». Eine Räumung schien in diesem Licht unwahrscheinlich. Trotzdem schlug die Polizei tagsdrauf zu – und zwar im Rahmen einer «Personenkontrolle» (ohne eigentliche Räumung). Ein wirklich kluger, wenn auch leicht zu durchschauender Schachzug, um die eigenen Hände in Unschuld zu waschen.
Die Demonstration am Tag der Räumung
Am gleichen Abend kamen auf dem Matthäuskirchplatz mehrere hundert Menschen zusammen, um ihrer Wut über die Verhaftung der acht Bewohner Ausdruck zu verleihen. Ein Umzug formierte sich und bahnte sich seinen Weg Richtung Claraposten, da dort zumindest ein Teil der Verhafteten vermutet wurde. Fast dort angekommen, wurde die Menge unvermittelt mit Gummischrot angegriffen. Auch ein weiterer Versuch, via Mittlere Brücke zum Untersuchungsgefängnis Waaghof vorzudringen, endete im Gummischrothagel*. Das noble Grossbasel sollte offenbar vom Kleinbasler Pöbel beschützt werden. Wieder auf dem Matthäuskirchplatz angekommen, entschieden sich die Leute für einen zweiten Versuch, den Claraposten zu erreichen. Auf dem Messeplatz wiederum das gleiche Spiel: Polizeireihen – kein Durchkommen. Zum krönenden Abschluss blamierte sich die Polizei erneut, indem sie die Menge mit Tränengas beschoss. Die Frage, von wem die Gewalt ursprünglich ausging, ist unspannend und wurde von den Massenmedien bereits zur Genüge diskutiert. Zudem: Umso besser, wenn das Lügengebäude der Polizei von alleine einstürzt**.
Wir dokumentieren nachfolgend diverse Slogans, die während des Umzugs an den Wänden hinterlassen wurden:
Die zweite Demonstration tagsdrauf
Am Samstag besammelten sich am späteren Nachmittag erneut mehrere hundert Personen auf dem Matthäuskirchplatz, um drei im Ausschaffungsgefängnis Bässlergut inhaftierte Ex-Bewohner der Kirche zu grüssen. Die Polizei hielt sich diesmal – das politische Eigentor vom Mittwoch Abend im Hinterkopf behaltend – konsequent im Hintergrund. Selbst als ein Demonstrant den ersten Zaun erklomm und auf dem Dach des Empfangszentrum den Inhaftierten seine Solidarität kundtat, wurde nicht eingeschritten. Gewertet werden kann dieser Einsatzdoktrinwechsel als Strategie der Befriedung: Wende dich den diplomatischeren Kräften einer «Bewegung» zu, triff Absprachen mit ihnen und kanalisiere damit die gesamte Dynamik in geregelte Bahnen – zahnlos und leicht zu kontrollieren.
Wiederum wurden auf der Route diverse Slogans hinterlassen:
* Neben dem normalen, kantigen Gummischrot wurden auch neue, kugelförmige Hartplastik-Projektile eingesetzt, die aus einem Mehrzweckwerfer abgefeuert werden. Dies als Ergänzung zum Recherche-Artikel, der im Nachgang zur NOCONEX-Demonstration im September 2015 veröffentlicht wurde.
** «Die Polizisten wurden mit Flaschen und Pyrofackeln beworfen und mit Laserpointern geblendet. Zum Selbstschutz und zur Durchsetzung der Vorgaben setzte die Kantonspolizei Gummischrot und Reizstoff ein.», so die Polizei in ihrer Medienmitteilung vom 3. März 2016. Einen Tag später sieht es Gerhard Lips, Polizeikommandant, offenbar ganz anders: «Die Basler Polizei hat zuerst Gummischrot eingesetzt. Danach warfen die Demonstranten Flaschen.» (srf.ch/news/regional/basel-baselland/zuerst-flog-gummischrot)
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