Heute haben wir die Häuser am Steinengraben 32 und 34 besetzt. Die Häuser stehen seit Anfang Jahr leer und sollen in ferner Zukunft einem Neubau weichen.
Egal in welche Richtung man blickt, die aktuelle Brisanz des Themas sozialer und kultureller Freiräume lässt sich nicht mehr leugnen: Der Widerstand gegen die vom Abriss bedrohten Häuser an der Wasserstrasse, die vorzeitig beendete Besetzung des ehemaligen Kinderspitals oder die spontane Aneignung der Voltamatte zeigen, dass immer mehr BewohnerInnen von Basel die Stadtentwicklung in die eigenen Hände nehmen und versuchen, Raum nach ihren Interessen und Bedürfnissen zu gestalten.
Wir sehen uns als Teil dieses Prozesses und haben deshalb die Häuser am Steinengraben 32 und 34 wiederbelebt. Sie befinden sich im Besitz der Nationalversicherung und stehen seit Anfang Jahr leer. Die Zukunft der Häuser ist ungewiss. Fest steht, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis ein Bauvorhaben umgesetzt werden kann und dass sich dieses mit Sicherheit hauptsächlich an Kapitalinteressen orientieren wird. Wie sonst ist es zu erklären, dass gut erhaltene Altbauten abgerissen und durch überflüssige Bürogebäude oder überteuerte Wohnblöcke ersetzt werden?
Unsere neuen Häuser stehen an geschichtsträchtiger Lage: Genau gegenüber befindet sich das Hotel Steinengraben, das am 1. Mai 2007 besetzt worden war. Das Hotel steht symbolisch für den Umgang der Stadt mit potentiellen Freiräumen: Unter fadenscheinigen Vorwänden wurde damals eine polizeiliche Räumung wenige Tage nach der Besetzung durchgesetzt. Um eine erneute Belebung dieses toten Ortes ausserhalb der städtischen Kontrolle zu verhindern, wurden im Anschluss die Fenster zugemauert und das Innere des Hauses zerstört. Jetzt, mehr als vier Jahre nach der Räumung, steht das Gebäude noch immer leer. Das bestärkt uns in unseren Absichten, den rhetorischen Kunststücken und den leeren Versprechen der Stadt keinen Glauben zu schenken. Wir und andere haben keine Lust, in die Randbezirke oder in die Agglomeration verdrängt zu werden, wir sind genauso Teil dieser Stadt und haben uns entschlossen, uns dieser lebensfeindlichen Stimmung entgegenzustellen, Position zu beziehen, offensiv zu werden. Daran ändern auch die Beschwichtigungsversuche von Thomas Kessler, dem Repräsentanten der Basler Stadtentwicklung, nichts. Das Bedürfnis nach zentral gelegenen Freiräumen könne bereits befriedigt werden, sofern die „historisch mentalen Grenzen“1 der Stadt ausgeweitet würden, so Kessler. Anders formuliert: Das Zentrum von Basel liege nicht in der Innenstadt, sondern in der Peripherie — laut Kessler in verlassenen Industriekomplexen im Elsass, auf dem kommerziell reorganisierten Dreispitzareal oder auf dem nt-Gelände mit seinen überteuerten Partylokalen. In kaum zu übertreffender Deutlichkeit veranschaulichen solche Aussagen den Versuch einer Politik von oben, sich die Definitionsmacht punkto Freiräume anzueignen.2 Was ist ein Freiraum? Wer bestimmt, wo und wie ein Freiraum zu sein hat? Nach welchen Kriterien? Welche Macht- und Kapitalinteressen sind damit verbunden?
Was wir wollen, sind unkontrollierte und unkontrollierbare Räume, die — soweit möglich — fernab eines kommerzialisierten und normierten Rahmens bestehen und sich entwickeln können. Räume, in denen wir versuchen, dem Begriff Freiheit eine neue Bedeutung zu verleihen. Die Tatsache, dass wir einen Grossteil unseres Lebens in unseren Wohnungen bzw. unseren Häusern verbringen, veranschaulicht die immense Bedeutung dieser Räumlichkeiten. So wünschen, suchen und nehmen wir uns Orte, an denen wir gemeinsam leben können; die als soziale Treffpunkte dienen; die Möglichkeiten zum Austausch von Ideen, Träumen, Freuden, Sorgen und zur Vernetzung schaffen. Und die uns als Rückzugsorte zur Verfügung stehen, an denen wir voneinander aufgefangen werden, wenn es die Situation erfordert.
Die InitiatorInnen dieser Besetzung sind keine Einheit, keine gleichgeschaltete Gruppe, deren Differenzen vernichtet wurden, sondern ein offenes und undefinierbares „Wir“, das versucht, sich gemeinsam zu organisieren und gemeinsam Verantwortung für sich selbst zu übernehmen — sei es im Haus oder in den Projekten, die in den neuen Räumen entstehen können. Auch Wohnhäuser können problemlos mit einem öffentlichen Gemeinschaftsraum, einer Kneipe, Werkstätten, Ateliers, einem Sportraum, einem Konzertkeller und/oder einem Bandraum ausgestattet werden, ein Garten böte zudem Platz für eigenes Gemüse. Die Grenzen der Kreativität und der Selbstbestimmung sind lediglich materieller Natur.
Im Gedanken der Offenheit gegenüber den Interessen und Bedürfnissen der AnwohnerInnen und anderen BewohnerInnen dieser Stadt ist es uns ein Anliegen, uns nicht zu isolieren, kein weiteres Ghetto einer Pseudo-Alternativkultur zu errichten. Wir verstehen unsere Intervention als Aufgabe und Chance zugleich, dem fortschreitenden Prozess der Entsolidarisierung, Vereinzelung und kulturellen Verarmung etwas entgegenzusetzen. Nicht nur für einige wenige, sondern für alle, die heute nach emanzipatorischen Alternativen suchen.
Wir sind hier, wir lassen uns nicht verdrängen und wir wollen damit alle einladen, es uns gleich zu tun. Und wir öffnen die Türen, um die Räume dahinter mit Leben zu füllen, Raum zu schenken. In einem solchen Klima der Vielfalt sollen verschiedene Bedürfnisse ihren Platz finden und sich entfalten können, um schliesslich zu einem Ort der Bereicherung zu werden.