Seit zwei Wochen steht das alte Kinderspital in Basel endgültig leer. Auf dem Areal ist eine Wohnüberbauung vorgesehen, die aber noch in der Planungsphase steckt – es ist mit mehreren Jahren bis zum effektiven Baubeginn zu rechnen. Es ist unklar, ob der Gebäudekomplex schon bald abgerissen wird oder noch lange leer steht. Klar ist aber, dass die bis Baubeginn brachliegenden Ressourcen ungenutzt bleiben sollen. Der Kanton Basel-Stadt, Eigentümer des Grundstücks, bemüht sich krampfhaft eine sinnvolle Zwischennutzung der Gebäude zu verhindern: Das Areal wurde verbarrikadiert und die Infrastruktur teilweise zerstört.
Wir halten diese Verhinderungspolitik für unsinnig und haben uns deshalb zu einem Aktionsnetzwerk zusammengeschlossen, um vor Ort zu intervenieren und eine alternative Nutzung der bestens erhaltenen Räumlichkeiten vorzuschlagen. Mit der kreativen Aneignung fordern wir, das alte Kinderspital einer freien Umnutzung für Kunst und Kultur zu öffnen, solange kein sinnvolles Neubauprojekt realisiert wird. Mit der Intervention wollen wir auch die Basler Stadtentwicklungspolitik kritisieren, welche sich primär nach ökonomischen Kriterien richtet statt nach den Bedürfnissen der BewohnerInnen dieser Stadt. Ihre Folgen zeigen sich aktuell beispielsweise an der Wasserstrasse, wo die Bewohnerschaft einer ganzen Häuserzeile verdrängt werden soll.
Mehr zur Argumentation für unser Projekt finden Sie im angehängten Grundsatzpapier. Neuigkeiten werden wir möglichst zeitnah per E-Mail und auf unserer Website publizieren. Erstes Bild- und Tonmaterial finden Sie in der aufgezeichneten Pressekonferenz.
Wir freuen uns über Ihre Berichterstattung und laden Sie herzlich zum Besuch ein. Wir bitten alle Medien, die informationelle Selbstbestimmung der Beteiligten vor Ort zu achten. Das heisst, keine Aufzeichnungen irgendwelcher Art ohne vorherige Absprache mit den Betroffenen und eindeutige Deklaration des Zweckes. Medienschaffende, die uns besuchen, bitten wir um eine Anmeldung beim Infodesk.
New Kids On The Blockrandbebauung
deRIVAt im alten Kinderspital
Die Ökonomisierung der Gesellschaft im Neoliberalismus betrifft wie alle Lebensbereiche auch die Produktion des städtischen Raumes. Nicht nur Verteilung und Zugänglichkeit von Wohnraum unterliegen ökonomischen Kriterien; öffentliche Räume werden privatisiert und auch die Verfügbarkeit von Räumen für Kunst und Kultur ist einer Logik der kommerziellen Verwertbarkeit unterworfen. Für die »unternehmerische Stadt« haben Stadtentwicklung und Kulturpolitik vor allem den Zweck der Standortaufwertung. Die Bedürfnisse ihrer Bewohnerinnen werden je nach Steuer- und Produktivkraft wahrgenommen oder eben nicht.
Freiräume gibt es auch in Basel viel zu wenige; weil sie nicht bezahlbar sind oder von der städtischen Bürokratie verdrängt werden. Doch Freiräume sind essentiell für Kunst und Kultur – letztlich für das Leben in der Stadt überhaupt. Freiräume sind offen gegenüber den selbstbestimmten Bedürfnissen ihrer Nutzer. Sie erlauben eine autonome künstlerische Praxis, die nicht von ihrer Verkäuflichkeit abhängig ist. Das Problem ist nicht, dass die Räume materiell nicht vorhanden wären, sondern die gesellschaftliche Ungleichheit ihrer Verteilung. Eine Möglichkeit, die Unvernunft dieser Verteilung zu durchbrechen, ist die Neu- und Zwischennutzung von ungenutzten Infrastrukturen. Wenn uns unsere Stadt die notwendigen Freiräume nicht bieten kann, dann müssen wir sie uns selbst aneignen.
Mit der Umzonung des Areals des alten Kinderspitals und der Abgabe im Baurecht wird einmal mehr städtischer Raum an private, gewinnorientierte Interessen verausgabt. Die bestens erhaltene Bausubstanz soll abgerissen werden, um einer weiteren sterilen Überbauung mit hochpreisigen Wohnungen »in bester Lage« Platz zu machen. Das Projekt ist in verschiedenster Hinsicht zu kritisieren. Es ist Teil einer städtischen Aufwertungspolitik, die sich primär für gute Steuerzahler interessiert und an einem attraktiven Image für Kapital und Tourismus bastelt. Die Stadt wird so zum Wirtschaftsstandort umgebaut, der sich mit schicken Wohnungen und tollen Konsumangeboten vermarktet. Die Verdrängung von Einkommensschwachen an die Peripherien und die Privatisierung von öffentlichen Räumen sind nur die offensichtlichsten Folgen. Warum aufwändig neue Häuser bauen, wenn die alten sinnvoll nutzbar wären?
Mit unserer Intervention wollen wir Basel, das sich als attraktive und investorenfreundliche Kulturstadt profilieren möchte, daran erinnern, dass seine Kulturproduzentinnen auch Bedürfnisse haben und sich nicht in wertvolle, subventionierte Kunst und den lästigen, unproduktiven Rest spalten lassen. Kunst und Kultur finden auch ausserhalb des »Opernhaus des Jahres« statt. Wir sind Menschen, die in Basel leben, arbeiten, kulturell und künstlerisch tätig sind. Wir sind keine definierbare Gruppe, sondern eine Ansammlung von prekären Subjekten, deren Anliegen es ist, die kollektiven Bedingungen zur Ermöglichung ihrer Selbstbestimmung herzustellen. Wir wollen keine Kulturwaren produzieren, sondern verstehen unsere Praxis auch als politische Auseinandersetzung mit dem Zusammenleben in der Stadt und Gesellschaft, für welche die herrschenden Verhältnisse allen Anlass geben. Wesentlich dafür ist die Forderung nach Freiräumen, die unsere Aktion artikuliert, es will aber nicht dabei stehen bleiben und formuliert grundsätzlichen Widerspruch gegen den Unsinn der neoliberalen Stadtverwüstung und ihre ausschliessenden Konsequenzen.
Unser gemeinsamer Nenner ist nicht ein politisches Programm, sondern das Engagement für ein Recht auf Stadt. Dieses würde die Bedürfnisse aller, mit denen wir Basel teilen, wahrnehmen und berücksichtigen. Denn wir bestimmen gerne selbst, was wir für unsere Bedürfnisse und ein gutes Leben halten. Eine lebendige Stadt wäre ein Ort der Auseinandersetzung und Vermittlung von widersprüchlichen Subjektivitäten. Deshalb kann eine emanzipatorische Stadtentwicklung nur ein kollektiver und horizontaler Prozess der Beteiligung und Aushandlung sein, nicht eine Politik von oben zur Konfliktverwaltung und Durchsetzung von Kapitalinteressen.
Wir verstehen unsere Aktion als Experiment und Form der radikaldemokratischen Intervention und Partizipation. Wir wollen damit unsere Bedürfnisse und deren Legitimität sichtbar machen. Das kann nur gelingen, wenn wir die Verstrickungen unserer eigenen Praxis reflektieren und vermitteln. Freiräume werden nicht durch Barrikaden geschaffen, sondern durch die Öffnung von privatisierten Räumen. Unser Ziel ist es, eine breite, unvoreingenommene Beteiligung von verschiedensten Akteuren anzustossen, die in selbstverwaltete Projekte münden soll, was nur durch die Bereitschaft zu Dialog und Kooperation mit allen Betroffenen erreicht werden kann.
Durch unsere Aneignung werden neue Räume geöffnet, die wir umgehend nutzen und bespielen wollen mit selbstdefinierten Inhalten, worin sich unsere Forderungen ausdrücken können. Neben dem Akt der Aneignung und der Öffentlichkeitsarbeit vermittelt sich unser Projekt vor allem durch die spontane Aktion vor Ort. Sie ist soziale Plastik, kollektive Wunschproduktion und politisches Labor für Utopien. Es entsteht Raum für Kunst und Kultur, die ihre Relevanz und Notwendigkeit aus sich selbst begründen, unabhängig von Marktwert, Mäzenentum und identitärer Politik der Distinktion. Vielleicht bietet die unkonventionelle Situation eine Möglichkeit, der Flüchtigkeit und dem Verwertungsdruck in der Kulturindustrie für einen Moment zu entkommen? Wie liesse sich eine von uns abgetrennte und entfremdete Stadt des Spektakels wieder erfahrbar machen? Die Herausforderung besteht darin, im entstehenden Raum improvisierend etwas zu entwickeln, was unsere Forderungen irgendwie repräsentieren oder zugänglich machen kann. Ästhetisch sind der künstlerischen Arbeit dabei keine institutionalisierte Grenzen gesetzt, diese werden formal einzig durch den Charakter der Aktion und die ausgelösten Reaktionen gezogen. Die Auflösung von Grenzen und Kategorien reflektiert auch die gesellschaftliche Produktion des Raumes und die herrschenden Bedingungen einer Kulturproduktion, die zunehmend zur Ästhetisierung der spektakulären Warenwelt instrumentalisiert wird. Der Wert des Entstehenden liegt denn auch weniger im Produkt als im Prozess des sozialen und künstlerischen Experiments. Am Samstag wird eingerichtet und es gibt Musik. Am Sonntag soll das Haus mit Brunch eröffnet werden. Das Projekt dauert solange wie notwendig und die Umstände es zulassen – sein Verlauf bleibt unbestimmt.
Das vorliegende Papier stellt den pragmatischen Konsens unseres informellen Projektnetzwerks dar. Es dient der internen und externen Verständigung und als Basis für die gemeinsam getragene Durchführung und weitere Entscheidungsfindung – davon abgesehen sind die einzelnen Akteure autonom in der Gestaltung. Planung und Koordination des Projekts werden von den Beteiligten durch egalitäre Formen der kollektiven Vermittlung ausgetragen.
- Kein Leerstand/Abriss des alten Kinderspitals – ein selbstverwaltetes Projekt für Viele anstelle von Luxusüberbauung und Investmentprofite für Wenige!
- Wir fordern Freiräume, für Kunst und Kultur, die gegenüber den selbstbestimmten Bedürfnissen ihrer Gestalterinnen und Nutzer offen sind und deren freie Entfaltung ermöglichen!
- Für eine emanzipatorische Aneignung der Stadt jenseits von ökonomischer Verwertungslogik und simulierter Partizipation – für ein Recht auf Stadt!