Nach zwei Lärmklagen an der Mattenstrasse rückte die Polizei mit einem Grossaufgebot aus und nahm fünf Personen fest. Diese wollen nun gegen die Polizei vorgehen.
Es sollte eine nette Überraschungs-Party werden. Doch die Party endete für fünf Besucher in einer Polizeizelle. Wofür die Polizei ihn festnahm, weiss Lino Bally auch eineinhalb Wochen nach jenem Samstag noch nicht genau. Er hat bisher keine Anzeige erhalten, keinen Polizeirapport gesehen.
Wir sitzen in der Wohnung an der Mattenstrasse 76, wo die Party stattfand. Bally erzählt, wie es so weit kam: «Wir wollten einen Freund überraschen, der ein halbes Jahr im Ausland war. Etwa 30 Leute kamen in die WG, wir hatten einen DJ, die Stimmung war heiter und es war sicher auch laut.»
Um Mitternacht kam die Polizei ein erstes Mal. Der DJ drehte die Musik leise, die Feiernden schauten aus dem dritten Stock auf die Strasse und sprachen von dort aus mit den Polizisten. Sie sollten die Musik ausmachen, erklärten die Polizisten. Die Feiernden folgten.
Doch kaum war die Polizei fort, wurde die Musik wieder laut. «Wir haben die Party in ein anderes Zimmer verlegt, um für die anliegenden Nachbarn die Lautstärke zu dämpfen», sagt Bally.
Das war gut gemeint, funktionierte aber nicht. Um 3 Uhr nachts kam die Polizei zum zweiten Mal. Dieses Mal mit fünf Fahrzeugen, davon zwei Kastenwagen, erinnert sich Bally. Etwa 20 Polizisten seien aus den Autos gestiegen und schnurstracks zum Hauseingang gelaufen.
Was in den nächsten 15 Minuten passierte, ist umstritten. Die Version von Bally geht so:
«Einige Partygäste gingen nach unten und versuchten bei der Eingangstüre mit der Polizei zu sprechen. Als ich unten ankam, habe ich mit einem Polizisten geredet. Ich habe ihm gesagt, dass die Musik bereits aus sei und wir die Party beenden. Den Polizisten schien das nicht zu interessieren. Ich sah, wie andere Polizisten versuchten, Leute durch die Türe zu zerren und durch den Hauseingang nach draussen zu bringen. Als ich sah, wie Freunde von mir wie Schwerverbrecher abgeführt wurden, bin ich zu den Polizisten hingelaufen und habe mich in den Weg gestellt: ‹Was macht ihr da?›, habe ich gefragt. Darauf habe ich keine Antwort erhalten. Vielmehr wurde ich von hinten zu Boden gestossen und in Handschellen gelegt.»
Ein Handyvideo zeigt, wie Bally anschliessend festgenommen wird. Sechs Polizeibeamte, zwei davon knien auf den Beinen von Bally, legen ihm Handschellen an. Der Festgenommene trägt keine Schuhe, diese habe er zuvor beim Feiern ausgezogen, sagt Bally.
Die Version der Polizei klingt anders. Polizeisprecher Martin Schütz erklärt den zweiten Polizeieinsatz kurz vor 3 Uhr in der Früh so:
«Dort verhielten sich einzelne Personen dann aber nicht mehr so kooperativ wie vorher; aus diesem Grund kam es in einem sich der Situation anpassenden Polizeieinsatz zu den fünf Anhaltungen und später Festnahmen. Während dieses Einsatzes musste die Kantonspolizei keine Mittel einsetzen; es wurde niemand verletzt.»
Schütz spricht davon, dass «die vorwiegend jungen Anwesenden der Partyszene und teilweise der linksextremen Szene zuzuordnen» gewesen seien. Diese Einschätzung führte wohl dazu, dass die Polizei beim zweiten Mal mit verstärktem Aufgebot an der Mattenstrasse aufkreuzte.
Was danach geschah, ist nicht umstritten. Die Polizei fuhr die Festgenommenen zum Claraposten. Dort verblieb Bally nach eigenen Aussagen drei bis vier Stunden in der Ausnüchterungszelle. Er musste einen Alkoholtest machen, das Messgerät zeigte 0,8 Promille – ein Wert, der bis vor ein paar Jahren die Grenze der Fahrtüchtigkeit markierte.
Dann wurde er zur Staatsanwaltschaft (Stawa) an der Binningerstrasse gefahren, wo Bally eine DNA-Speichelprobe abgeben musste. Das, weil gegen ihn «der dringende Verdacht einer schweren Straftat besteht», so steht es auf dem Merkblatt, das Bally erhielt.
Bei der Einvernahme am Sonntagnachmittag erfuhr der 24-Jährige, dass er und seine Freunde wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie Hinderung einer Amtshandlung festgenommen worden waren.
Die Stawa entschied, die fünf Festgenommenen über Nacht in Polizeigewahrsam zu behalten. Die Gründe dafür sind unklar.
Am Sonntagabend kam eine Gruppe von etwa 40 Personen vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft zusammen, um gegen die Festnahmen zu protestieren. «Telebasel» berichtete über die unbewilligte Kundgebung, ohne den Grund für die Festnahmen zu kennen:
Maximal 48 Stunden in Polizeigewahrsam
Am Montagmorgen wurde Bally um 8 Uhr freigelassen – nach etwa 28 Stunden in Polizeigewahrsam. Die übrigen vier Verhafteten wurden danach zeitlich gestaffelt freigelassen, der letzte um 16 Uhr – nach zirka 36 Stunden.
Festgenommene dürfen laut Gesetz 48 Stunden in Polizeigewahrsam gehalten werden. Danach ist ein richterlicher Haftbefehl notwendig.
Dass Bally und seine Freunde so lange in Haft ausharren mussten, ist für Christian von Wartburg unverständlich. Der Anwalt und SP-Grossrat vertritt die Festgenommenen und will allenfalls wegen unangemessener Polizeigewalt gegen die Gesetzeshüter vorgehen.
Von Wartburg sagt: «Bei massiver Gewalt gegen Polizeibeamte wäre ein längerer Aufenthalt in Polizeigewahrsam für mich nachvollziehbar.» Falls es, wie die Beteiligten berichten, bei den Vorfällen aber nur um Ruhestörung ging, sei der lange Aufenthalt «sicherlich nicht verhältnismässig».
Dies selbst dann, «wenn bei diesem Einsatz ein Tatverdacht wegen Hinderung einer Amtshandlung entstanden wäre, weil die Beteiligten den Anweisungen der Polizei nicht sofort Folge leisteten».
«Nicht jeder kann sich wehren»
Bally ärgert, dass er und seine Freunde als Linksextreme gebrandmarkt werden. «Dazu gibt es keinerlei Anlass. Ich bin Aktivismus sicher nicht abgeneigt – aber immer gewaltfrei. Genauso schätze ich die Besucher der Party an jenem Samstag ein.» Die Mattenstrasse sei kein besetztes Haus. Alle Bewohner verfügten über Mietverträge.
Er sei auch noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Schliesslich wolle er sich auch deshalb gegen das Polizeivorgehen wehren, weil der Einsatz «völlig unverhältnismässig» gewesen sei. «Ich weiss: Nicht jeder kann sich gegen Polizeigewalt wehren. Wir sind privilegiert, darum müssen wir es auch tun.»